Die Kunst, einem Kasten Klänge zu entlocken

Genf. Viktor hat keine Zeit. Er schiebt sich rasch etwas Essen in den Mund und verlässt dann schnellen Schrittes die Küche des Ateliers. Denn: Neue Freunde, allesamt Schüler der Deutschen Schule Genf warten auf den Zwölfjährigen. Sie wollen Fußball spielen. Im Dunkeln. Mit Handybeleuchtung. Viktor Stocker war am Freitag nicht der einzige ungewöhnliche Gast in der Schule. Ihm zur Seite standen Marcin Henschel aus Warschau, Paul Gette aus Doha, der Lausanner Samuel Gogniat und der DSG-Schüler Bernardo Pinha Vay. Sie sind einige der diesjährigen Preisträger im Landeswettbewerb „Jugend musiziert“.

„Fußball spielen ist auch wichtig“, sagt Martina Stocker lachend und blickt ihrem Sohn Viktor hinterher. Sie begleitet den jungen Akkordeon-Spieler immer dann, wenn wichtige Anlässe auf dem Programm stehen. Der Schüler kann nicht nur den 1. Preis beim Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ mit Weiterleitung zum Bundeswettbewerb sein eigen nennen, sondern hat davor schon – als jüngster Teilnehmer – den „Jugend komponiert“-Preis gewonnen. Mit einer Eigenkomposition stand er dann auch auf der kunstvoll beleuchteten Bühne der DSG.

Gefragt nach dem: „Warum gerade Akkordeon?“, lacht Viktor, er kennt die Frage längst. Als er vier Jahre alt war, erinnert er sich, wurden im Kindergarten seiner Heimatstadt Prag Instrumente vorgestellt. Dem jungen Viktor war klar: Akkordeon sollte seine Leidenschaft werden. Mutter Martina erzählt am Rande des Preisträgerkonzertes, dass ihr Sohn damals mit Nachdruck verkündet habe, „ich werde es auch spielen“. Akkordeon, so Martina Stocker, ist in der tschechischen Musik tief verankert. Anders als etwa in Deutschland, wo das vielseitige Instrument – als Schifferklavier verschrien – eher in Seemannskneipen zu hören ist.

„Seit seinem sechsten Lebensjahr spielt Viktor jetzt schon Akkordeon“, erklärt die Tschechin weiter, in fließendem Deutsch. Täglich übe er drei bis vier Stunden. „Oft schon eine Stunde vor der Schule“, so die Mutter. Bestimmt, damit am Nachmittag noch Zeit zum Fußball spielen bleibt.

„Der Klang ist es. Ja, der Klang“, unterstreicht Samuel Gogniat aus Lausanne und versteckt sich hinter seinem Haarschopf. Virtuos lässt er die Mallets erklingen. Vier Schlägel rasen dabei zeitgleich über das gigantisch anmutende Marimbaphon. Mal irre laut mit Nachhall, mal ganz sanft und leise. Seit acht Jahren spielt der Fünfzehnjährige bereits ganz unterschiedliche Percussion-Instrumente, aber die Mallets haben es ihm besonders angetan. Noch besucht er die Schule – in Lausanne. Wird sein Abitur machen. Und danach? Samuel lacht: „Musik studieren natürlich.“ Natürlich!

Musik prägt auch den Alltag von Bernardo (Violine), Marcin beeindruckte unter andrem am Cajon (übersetzt Kasten) und Paul, der am Xylophon und an der Trommel begeisterte. Selbst als ihm ein Schlägel versehentlich auf das Instrument rutschte, blieb er professionell ruhig. Lies sich nichts anmerken und entlockte seinem Instrument wunderschöne Klänge. Wie auch Bernardo – seiner Violine. Fast elf Jahre alt leitete er das Konzert mit Stücken von Küchler und Vivaldi ein. Sein Vater filmte voller Stolz die Darbietung seines Sohnes von den Zuschauerrängen aus. Noch ist Bernardo zu jung für die eigentliche Teilnahme am Bundeswettbewerb, aber er spiele weiter, sagt er lachend und verschwindet dann auch. In Richtung Bolzplatz.

Um einen renommierten Wettbewerb wie „Jugend musiziert“ an die DSG zu holen, bedarf es einiges an Arbeit und helfenden Händen. Besonders dann, wenn es noch gilt, kurzfristig ein Xylophon zu organisieren und mit Sorge zu sehen, wie Viktors Akkordeon Schaden nimmt und die eigentlich geplanten Stücke aus dem Wettbewerb beim Konzert nicht mehr zu Gehör gebracht werden können.

Dennoch. Oder gerade deshalb? „Alles ist großartig gelaufen“, lobt Irene Rieck die Organisation, stellvertretende Vorsitzende des Landesausschusses Nordeuropa Region 2. „Und es tut so gut, wieder richtige Treffen zu durchzuführen“, unterstreicht Rieck, die seit vielen Jahren schon in Stockholm lebt und an der dortigen Deutschen Schule unterrichtet. Dank und viel Lob gingen zudem an das Jurymitglied Marcin Lemiszewski aus Warschau, an die Technik-AG unter der Leitung von Verena Gruber und die beiden Hauptorganisatorinnen der DSG Marta Slaby und Elinor Ziellenbach. „Warschau, Prag, Doha sowie digitale Wettbewerbsbeiträge aus Helsinki, Sofia und Moskau“, unterstreicht Schulleiter Bernd Ruddat dann auch abschließend und es klingt fast so, als würde er den European Song Contest moderieren. Viel Lob brachte der Schulleiter allen Musikern entgegen und ganz ehrlich, alles Dargebotene war bedeutend schöner als beim European Song Contest. Großes Kompliment an die jungen Künstler, von denen bestimmt noch Vieles zu hören und sehen sein wird. Chapeau!

Text und Fotos: Britta Hoehne

Video zum Preisträgerkonzert des Landeswettbewerbs “Jugend musiziert”

Schnitt: Verena Gruber

Das Konzert in voller Länge: https://youtu.be/aeGwP4eedvE

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