Erlkönig im Jagdgalopp
Wenn aus dem Wort „Baustellenschild“ Kunst wird: Bas Böttcher zu Gast in der DSG
Bas Böttcher ist schnell im Kopf. Sehr schnell sogar. Ein Stichwort reicht ihm, um daraus ellenlange Reime zu kreieren. Selbst die Tafel in der neunten Klasse der DSG wischt er erst ab, als er sie ausführlich studiert hast. „Das kann alles helfen, als Zufallsfund vielleicht“, sagt er dann und bemerkt dann doch rasch, „das ist Französisch. Das könnt ihr besser als ich“. Gleich in vier Klassen war der studierte Medienentwickler Bas Böttcher vergangene Woche zu Gast. Dabei hat er nicht nur gezeigt, dass Goethes „Erlkönig“ in der Galopp-Variante genial ist, sondern auch vorgemacht, dass Dichten viel Handwerk und nicht nur Können ist.
Das Bau-stel-len-schild hat es ihm angetan. Inspiriert von all den Um- und An- und Neubauten in Genf. Zerlegt wird das Wort in Einzelteile, hinter Gittern verpackt und mit weiteren Worten kombiniert: Bau-stel-len-schild, klau- bel len -Bild, schau- ren nen -wild, schlau- Quel len -quillt. Was sich wirr liest ist – kaum an die Tafel projiziert – in Bas Böttchers Kopf längst ein Reim. „Achtet auf die Reime“, sagt er dann, „und auf Alliterationen. Auch auf die versteckten und nutzt die Mehrdeutigkeit der Wörter, auch wenn sie sich dem Zuhörer nicht sofort erschließt. Wie bei dem Wort „Weg“ – von wegen, der Buchstabe „G“ und geh, wie „geh weg“.“
Weiter geht‘s: „Das unmögliche Denken“ heißt eine Übung. Darin fordert der in Berlin lebende Poetry Slamer die aufmerksame Zuhörerschaft auf, Sätze zu konstruieren, die völlig konträr sind. Wie etwa der gratis Kauf, der namenlose Peter oder „ich merke dir mein Gesicht“. Anfänglich zögernd haben die Schülerinnen und Schüler mit ihren Vorschlägen nicht lange auf sich warten lassen. Besondere Lacher brachte dabei der „funktionierende Schulcomputer“ hervor. Aber auch der „undichte Dichter“, und der „blinde Beobachter“ gefielen.
Bas Böttcher lehrte seine jungen Zuhörer, die Welt mit anderen Augen zu sehen, etwaige Normalitäten auf den Kopf zu stellen. Wurden anfänglich nur wenige kurze Sätze kreiiert, verlangte der vielfach ausgezeichnete Künstler im Anschluss mehr: Ganze Gedichte forderte er den Workshop-Teilnehmern ab. 30 Minuten blieben dann, um aus dem kreativen Chaos etwas auf die virtuelle Bühne zu bringen. „Wer fertig ist, studiert den Text ein“, so Böttcher. Denn nicht nur das Schreiben ist Kunst, sondern auch die Präsentation auf der Bühne. Dabei vertraute der gebürtige Bremer seiner Zuhörerschaft an, dass er die Texte über die Motorik lerne. Er „sprechsinge“ die Texte förmlich, gebe einen Rhythmus hinzu, klopfe mit Fuß oder Hand den Takt – und so verinnerliche er. Bücher, dessen ist sich der Vater einer vierjährigen Tochter sicher, sind stille Boten des Geschehens. Stille kann auch auf der Bühne verlockend sein, aber nur in Kombination mit galoppierenden Texten.
Leider musste Bas Böttchers Auftritt in der DSG-Aula covidbedingt abgesagt werden. Dort hatte er geplant, sich die Bühne mit der jungen, neuen Konkurrenz der achten bis zehnten Klasse zu teilen. Marta Slaby, die den Poeten gemeinsam mit Jutta Franken nach Genf geholt hat, denkt schon weiter. „Irgendwann“, dessen ist sich die Lehrerin sicher, „stehen alle zusammen auf der Bühne.“ Bas Böttcher hat zugesagt. Auch wenn bis dahin noch so mancher Text seiner Feder entspringen wird. Wer weiß, vielleicht auch einer über seine Zeit am Genfer See. Denn: Die Bühne ist überall.